2019 - Umweltpolitik in der Demokratie 201910
Der von uns schon oft zitierte Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) ist ein Professorengremium aus allen einschlägigen Fachrichtungen. Der Rat besteht seit über 45 Jahren. Seine Mitglieder werden von der Bundesregierung eingesetzt. Der Rat erarbeitet und veröffentlicht hoch qualifizierte Gutachten zu Umweltfragen und zur damit verbundenen Politik.
Die Gutachten sind immer sehr objektiv und daher kritisch, so dass es uns wundert, dass auch bei Neubesetzungen immer wieder Mitglieder berufen werden, die offensichtlich nicht zu Gefälligkeitsgutachten bereit sind.
Am 25.9.2019 hat der SRU das Sondergutachten vorgestellt:
-
Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen -
zur Legitimation von Umweltpolitik
Der SRU beginnt das Gutachten mit einem Überblick über den Stand der Wissenschaft zum Klimawandel. Wir halten das für "gesicherte Erkenntnis" - auch wenn es noch Leute gibt, die hierzu eine andere "Meinung" haben. (Siehe unser Motto: Jeder hat das Recht auf eigene Meinung - aber nicht auf eigene Tatsachen.) Die Faktenlage wird auch von keinem unserer maßgebenden Politiker bestritten und unsere hoch verehrte Bundeskanzlerin hat gar Physik studiert.
Der viel zitierte Satz in Bezug auf Demokratie: "alle Macht geht vom Volke aus" könnte dahin missverstanden werden, dass die Regierenden nur erkunden sollen, was "das Volk" will, um das dann auszuführen, ohne selber zu gestalten. Aber so ist es nicht.
Der SRU sieht im Rechtssystem der Bundesrepublik hierfür drei Grundlagen:
-
Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gehört zum allgemein anerkannten Staatszweck "Sicherheit".
-
Nach Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) hat "jeder ... das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit".
-
Und ganz speziell dazu Art. 20a GG: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere ..."
Ergebnis: Die Politik bestreitet nicht, dass der Klimawandel menschengemacht ist und die natürlichen Lebensgrundlagen auf der Erde bedroht. Sie ist daher nicht nur "legitimiert", sondern verfassungsrechtlich verpflichtet, alles zur Abwendung der Klimakrise Erforderliche zu tun.
Im zweiten Teil seiner Arbeit gibt der SRU Empfehlungen an die Politik, die sich etwa wie folgt zusammenfassen lassen:
-
klare sofort umsetzbare Gesetzgebung zur Begrenzung des Klimawandels auf die so oft genannten "1,5 Grad" Erwärmung; Ausrichtung aller Ressorts ("Integration") auf dieses Ziel
-
Sorge für sofort beginnende praktische Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben und wirksame Kontrolle ihrer Einhaltung
-
konsequente Werbung und Aufklärung über die Notwendigkeit der Maßnahmen zur Erzielung "gesellschaftlicher Akzeptanz"
Gemessen daran markiert das jetzt vom Kabinett beschlossene und demnächst im Bundestag zu behandelnde "Klimapaket" nur eine weitere Verweigerung der Politik und ein weiteres Hinausschieben.
Die Kanzlerin verteidigt das "Paket" u.a. mit der Behauptung, in der Demokratie sei aufgrund eines Zwangs zu Kompromissen nicht mehr möglich. Sie beschädigt damit auch noch die Idee der Demokratie, indem sie diese - und nicht ihre eigene Mut- und Verantwortungslosigkeit - als Ausrede für weiteres Nichthandeln benutzt.
Der Klimawissenschaftler Stefan Rahmstorf bringt es in einem Spiegel-Interview vom 6.10.2019 auf den Nenner: "Wenn die GroKo nicht die Kraft hat, Paris umzusetzen, sollte sie den Weg frei machen."
Dem Journalisten Bernd Ulrich - stellvertretender Chefredakteur der ZEIT und nicht als Eiferer, sondern für seine ausgewogenen und fundierten Beiträge bekannt - ist der Kragen geplatzt. "Von der Angst diktiert" überschreibt er seinen Beitrag vom 12.10.2019 in ZEIT ONLINE. Beide Regierungsparteien haben bis vor kurzem noch gegen den Klimawandel polemisiert, in der Hoffnung, damit Stimmen zu fangen ("Die AfD saß mit am Tisch"), statt eine Stimmung pro Klimaschutz aufzubauen, den sie ja angeblich "ernst nehmen" und zu dem sie sich international bindend verpflichtet haben (Paris 2015). "Was für eine Frechheit", ihr jämmerliches Versagen nun auch noch als "Maß des demokratisch Möglichen" verkaufen zu wollen!"
Olaf Scholz (Vizekanzler, SPD) im SPIEGEL-Interview am 2.9.2019: "... müssen wir den Klimawandel stärker in den Blick nehmen, als wir das noch in den Koalitionsverhandlungen getan hatten. Wir brauchen einen großen Wurf in der Klimapolitik, wenn wir als Regierung weiter eine Berechtigung haben wollen, das Land zu führen."
Lieber SRU, Ihr lauft mit Eurem sorgfältig erarbeiteten Gutachten offene Türen ein bei den regierenden Politikern. Sie wissen, was sie zu tun hätten - Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ... auch in Verantwortung für die künftigen Generationen - sie tun es nur nicht, vorsätzlich!
How dare you?
"Böswillig vorgetäuschte Klimapolitik" nennt es die ZDF-Heute Show vom 27.9.2019.
Wenn's doch nicht so traurig wäre ...